Mühsam robbt ein junger Mann mit einem Baby auf dem Arm auf Knien über den kopfsteingepflasterten Platz. Die heiße Mittagssonne scheint erbarmungslos auf ihn herab. Sein Blick ist zur Tepeyac-Kapelle gerichtet, die auf einem Hügel über der alten Basilika thront. Schweißtropfen rinnen ihm von der Stirn. Sein weißes T-Shirt klebt nass an seinem Körper. Eine Frau geht langsam neben ihm her, den Blick starr auf das Baby in seinen Armen gerichtet. „Er will der Heiligen Jungfrau für die Geburt seines Sohnes danken“, erklärt César, unser Tourguide.
Nuestra Señora de Guadalupe, die Jungfrau von Guadalupe ist die Schutzpatronin von Mexiko und ihr Gnadenbild das bedeutendste Marienheiligtum des Landes.
Ins Gebet versunken sitzen Gläubige auf den Bänken und murmeln Gebete in verschiedenen Sprachen vor sich hin. Pilger rutschen auf Knien über den Fußboden zum blumengeschmückten Hauptaltar. Nonnen und Priester laufen geschäftig durch die Gänge, vorbei an Greisen, die im Rollstuhl in ihre Gebete versunken sind. Ein Mann legt rote Rosen für die Jungfrau nieder und bittet dabei um den Erhalt seines Arbeitsplatzes. Kinder langweilen sich und quengeln, ein Hund schnüffelt am Boden und Touristengruppen mit Kameras fotografieren sich gegenseitig, die Betenden und jeden Winkel der Basilika.
Vier Förderbänder führen Gläubige und Touristen unter dem Original-Bildnis der Heiligen Jungfrau vorbei. Kameras werden gezückt, aber das Band ist schnell, es bleibt kaum Zeit die Kamera zu fokussieren. Das „Deposite aqui sus milagros“ (Ihre Wunder hier) steht auf einer Metallbox. „Hier könnt Ihr eure Wünsche an die Heilige Jungfrau abschicken“, sagt César.
Ein Priester deutet grimmig auf meinen Hut und sagt in schroffem Ton, ich solle ihn absetzen, denn er würde die Jungfrau beleidigen. „Wenn es um unsere Jungfrau geht, verstehen wir keinen Spaß!“ meint César. Als wir die Basilika verlassen stehen wir vor einem Priester, der Segnungen im Akkord erteilt. Er taucht seinen Palmwedel in ein Wasserbecken und segnet damit jeden im Namen der Jungfrau, ob er nun darum bittet oder nicht. Ich bin nicht katholisch und bitte nicht darum, aber ehe ich mich versehe trifft mich das kühle Nass im Vorbeigehen ins Gesicht. „Schaden kann der Segen keinesfalls. Ob nun katholisch oder nicht“, sagt César.
Dort, wo die Tepeyac-Kapelle thront, ist im Jahr 1531 die Heilige Jungfrau Maria dem Indio Juan Diego erschienen und zwar in der Gestalt und mit der Hautfarbe der Indios. Sie forderte ihn auf, den Bischof zum Bau einer Kapelle auf dem Hügel zu bitten. Der Bischof glaubte Juan Diego zunächst nicht, aber als sich die Erscheinung wiederholte, verlangte er nach einem Beweis. Am 12. Dezember 1531 führte die Jungfrau Juan Diego zu einem Rosenstrauch auf dem Hügel, der bis dahin kahl gewesen war. Er legte die Rosen in seinen Umhang. Als er diesen vor dem Bischof ausbreitete, waren die Rosen verschwunden, stattdessen erschien darauf das Bildnis der dunkelhäutigen Jungfrau im Strahlenkranz. Bischof Juan de Zumárraga erkannte darin das Bildnis der Jungfrau von Guadalupe, die in seinem Heimatland Spanien verehrt wurde und ließ die Kapelle auf dem Hügel bauen. Das Original-Bildnis aus dem Umhang ist noch heute zu sehen (siehe Foto weiter oben). Die Kapelle wurde 1709 durch den Bau der Basilica de Nuestra Señora de Guadalupe ersetzt, die bald zum wichtigsten Wallfahrtsort im Mittelamerika wurde. 1754 erklärte Papst Benedikt die Jungfrau von Guadalupe zur Patronin von Mexiko, 150 Jahre wurde sie von Papst Pius X zur Schutzpatronin Lateinamerikas erklärt.
Als die Basilika für den Massenandrang zu klein geworden war und sie zudem zu versinken drohte, wurde auf dem Platz links neben ihr 1976 eine größere Basilika eingeweiht, die 20.000 Menschen Platz bietet und heute die größte Kirche Lateinamerikas ist.
„Wenn am 12. Dezember das Pilgerfest in Guadalupe stattfindet, ist halb Mexiko auf den Beinen“, erzählt César. Es ist ein Großereignis mit fast 10 Millionen Menschen, ein riesiges Spektakel mit Tänzen und Gesängen der indigenen Völker zu Ehren der Heiligen Jungfrau. „Schließlich war es einer von uns, dem sie 1531 erschienen ist. Und auf dem Bildnis ist sie zudem so dunkelhäutig wie wir“, sagt ein Straßenhändler, der auf dem Platz vor der Basilika Devotionalien verkauft. „Ob indigener oder spanischer Abstammung, wir sind nicht katholisch, wir sind Guadalupeños. Wir glauben in erster Linie an die Jungfrau von Guadalupe!“ fügt er hinzu und drückt mir ein Heiligenbildchen für die Reise in die Hand.
INFO
Der Wallfahrtsort Villa de Guadalupe liegt fünf Kilometer außerhalb des Zentrums von Mexiko-Stadt. Vom historischen Zentrum erreicht man den Ort mit der U-Bahn Linie 3. Die Basilika befindet sich auf der Plaza de las Americas und ist täglich von 6-21 Uhr geöffnet.