Sofia - Stadt im Wandel

Die kommunistische Ära endete vor über zwei Jahrzehnten, und noch immer befindet sich die bulgarische Hauptstadt im Wandel: Street Art, Glaspaläste und teure Designerläden zwischen sozialistischen Denkmälern, maroden Plattenbauten und baufälligen Stadthäusern. Aber genau das macht die Stadt so spannend und verleiht ihr einen besonderen Charme.

Die Fahrt mit dem Taxi vom Flughafen ins Zentrum führt durch triste, graue Vorstadtviertel. Die Straßen sind gesäumt von Plattenbauten, die in den Ostblockstaaten nach 1945 in großem Stil zur Bewältigung der Wohnungsnot errichtet wurden. Heute sind sie heruntergekommen und wirken wie Relikte aus einer anderen Zeit. Es ist, als wäre ich durch eine Zeitmaschine in das Bulgarien der 80er Jahre katapultiert worden.

Plattenbauten

Als das Taxi in die elegante, baumbestandene Oborishte Straße einbiegt, ändert sich das Bild. Hier stehen herrschaftliche Villen, in denen Botschaften, Konsulate und Design-Hotels untergebracht sind.

Sofia 5

Zwischen den prächtigen Bauten lugt aber immer wieder ein verlassener, mit Graffiti besprühter Kiosk oder ein verfallenes Haus mit zerbrochenen Fensterscheiben hervor. „For rent“, steht an den Fenstern.

For rent

Unser Hotel, die Sofia Residence, befindet sich in einem kleinen Stadtpalast nahe des Französischen Konsulats. Wir checken ein und begeben uns gleich auf Sightseeing Tour. Der Gehweg in der Oborishte Straße (und nicht nur da, wie wir später feststellen) ist bröckelig. Beim Betreten werden die kaputten Steinplatten zu Stolpersteinen im wahrsten Sinne des Wortes.

Steinplatten

Ich stolpere so oft, dass ich statt nach links und rechts nur noch auf den Boden schaue und nach der nächsten wackeligen oder zerbrochenen Platte Ausschau halte. „Unser Land hat leider kein Geld, die Gehwege zu erneuern“, ruft mir eine Frau auf Englisch zu, als ich laut fluchend stolpere und mit dem Fuß umknicke. „Man gewöhnt sich dran“, sagt sie lachend.

Monument

In einem Park am Boulevard Tolbuchin steht das monumentale „Denkmal zu Ehren der Sowjetarmee“: ein fast 40 Meter hoher Pfeiler, an dessen Sockel drei Reliefs die Geschichte der Roten Armee zeigen und an dessen Spitze ein Rotarmist seine Waffe über die Köpfe eines Arbeiters und einer Bäuerin reckt. Errichtet wurde das Denkmal 1954 im Stil des Sozialistischen Realismus zum zehnten Jahrestag des Einmarsches der Sowjetarmee. Seit dem Ende des Kommunismus erhitzt es die Gemüter. Bürgerbewegungen fordern seine Entfernung aus dem Zentrum der Hauptstadt, geraten aber immer wieder auf Widerstand seitens der russischen Botschaft in Sofia und linker Gruppen.

Skateboard

Zu Füßen des Denkmals befindet sich eine Skateboardbahn, wo sich Skateboardfahrer in spektakulären Kunstwerken üben. Der gigantische Sockel des Monuments ist beliebter Treffpunkt von Jugendlichen. Hier wird gelesen, diskutiert, gepicknickt oder einfach nur gechillt. Die Kontroverse um die steinernen Sowjetsoldaten ist ihnen egal. Auf dem Weg zum Hotel kommen wir in den nächsten zwei Tagen immer wieder an dem Monument vorbei. Nicht weit vom Park steht das Wahrzeichen der Stadt, die Alexander Newski Kathedrale.

Newski

Der Prachtbau mit den aus Blattgold überzogenen Kuppeln wurde zu Ehren des russisch-türkischen Krieges (1877/78) Ende des 19. Jahrhunderts auf dem höchsten Punkt der Stadt errichtet und nach dem Schutzheiligen des Zaren benannt.

Highlight im Inneren der Kathedrale sind die zahlreichen Ikonen, Wandmalereien und Mosaike sowie die Krypta mit einer Dauerausstellung von Fresken und über 200 Ikonen. Hinter der Kathedrale findet täglich ein Flohmarkt statt, auf dem Ikonenbilder, Matrjoschkas, Büsten und Orden aus der sozialistischen Ära, Klamotten, Bücher, alte Kameras und sonstiger Kleinkram verkauft werden.

Flohmarkt Sofia

Wir schaffen es zeitlich gerade noch in die Nationale Kunstgalerie gegenüber der Kathedrale. In den oberen Stockwerken hängen Gemälde bulgarischer Künstler aus dem 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Namen wie Sirak Skitnik, Vera Nedkova, David Peretz oder Boris Eliseev sind in Westeuropa eher unbekannt, ihre Werke können sich jedoch durchaus mit denen der internationalen Impressionisten und Expressionisten messen - finde ich zumindest. Das Gebäude war im 16. Jahrhundert Sitz der osmanischen Verwaltung und später, während der Monarchie, Zarenschloss.

Sofia ist kein Hotspot wie Berlin, London oder Paris, dafür aber nicht von Touristen überlaufen. Das Stadtbild mit seiner Mischung aus Orient, Okzident und Sozialismus liegt weit abseits des Mainstream. Trotz der Millionengröße der Stadt liegen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten dicht beieinander und sind leicht zu Fuß zu erreichen. Wir nehmen an einer Stadtführung der Non-Profit-Organisation „365 Association“ teil, die mit der Free Sofia Tour an 365 Tagen im Jahr zweimal täglich, um 11 Uhr und um 18 Uhr, kostenlose Stadtführungen in englischer Sprache anbietet. Trinkgelder sind natürlich willkommen.

Stoyan

Treffpunkt ist der Platz vor dem Justizpalast. Eine vorherige Anmeldung ist nicht erforderlich. Unser Tourguide an diesem Morgen ist Stoyan, der eigentlich in der Computerbranche arbeitet. Es ist seine erste Tour als Stadtführer. Elf Highlights stehen auf dem Programm, darunter die geschichtsträchtige Kathedrale Sweta Nedelja.

Sweta

Während eines Trauergottesdienstes für einen General ließen bulgarische Kommunisten im April 1925 mehrere Bomben hochgehen, um Zar Boris III samt der anwesenden politischen und militärischen Führung mit einem Schlag zu vernichten. 120 Menschen starben, 500 wurden verletzt. Lediglich die Politiker und Militärs blieben unversehrt, der Zar war nicht anwesend. Bis zum Abbau des Eisernen Vorhangs wurde die Kuppel der Kathedrale als ein Büro des Geheimdienstes genutzt.

Nicht weit von dem orthodoxen Kirchenbau befindet sich die U-Bahn Station Serdica mit der archäologischen Fundstätte der gleichnamigen römischen Stadt aus dem zweiten Jahrtausend v. Chr.

Beim Bau der U-Bahn (2010-2012) stießen Arbeiter auf die Überreste des Ortes, die anschließend in die U-Bahn-Station integriert wurden und ihr den Namen gaben. „Serdica ist mein Rom!“, soll Konstantin der Große im 4. Jahrhundert entzückt ausgerufen haben. Letztendlich entschied er sich für Konstantinopel als Hauptstadt des Oströmischen Reiches. Treppen führen hinauf zum Platz der Toleranzen, dessen Name daher rührt, weil ringsum gut sichtbar in weniger als 500 Metern Entfernung Gotteshäuser dreier Glaubensrichtungen stehen: die Banja-Baschi-Moschee aus dem 16. Jahrhundert, die während der sozialistischen Ära still lag, die Sofioter Synagoge in spanisch-mauretanischem Stil und die orthodoxe Kirche Sweta Nedelja.

In über 20 Metern Höhe hält die Heilige Sofia ihre Hand schützend über den Straßenverkehr. Die Bronzestatue aus dem Jahr 2000 gilt als Beschützerin der Stadt. „Während des Sozialismus stand Lenin an ihrer Stelle auf dem Sockel“, erklärt Stoyan.

Sofia-Statue

Hinter der Synagoge liegt die 1911 eröffnete Zentrale Markthalle, wo es auf drei Etagen Lebensmittel, Restaurants und Cafés, Kleidung, Kunsthandwerk und allerlei Krimskrams gibt.

Markthalle

Nächste Station ist der Gebäudekomplex Largo am Platz der Unabhängigkeit, der Anfang der 50er Jahre im sozialistisch-klassizistischen Stil, der sogenannten „Stalingotik“, gestaltet wurde. Im mittleren Gebäude befand sich bis 1990 das Hauptquartier der Bulgarischen Kommunistischen Partei, das heute von der Nationalversammlung genutzt wird.

Präsidentenpalast

In den Gebäuden daneben sind der Ministerrat, das Kaufhaus TSUM, das Büro des Präsidenten, das Hotel Balkan (ehemals Sheraton) und das Erziehungsministerium untergebracht. „Im TSUM gab es die erste Rolltreppe Bulgariens. Die Menschen kamen aus allen Teilen des Landes – nicht, um einzukaufen, sondern um Rolltreppe zu fahren“, erzählt Stoyan.

Rotunde

Direkt hinter dem Hotel Balkan, inmitten von Überresten des antiken Serdica, steht das älteste erhalten gebliebene Gebäude Sofias: die kleine Rotunde des Heiligen Georg aus dem 4. Jahrhundert.

Rotunde hl. Georg

Ein Hingucker sind die 900 Jahre alten Fresken, von denen Restaurateure bisher drei Schichten freigelegt haben. Sie waren während der osmanischen Herrschaft übermalt worden, als die Rotunde als Moschee genutzt wurde.

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In der Uliza Dyakon Ignatiy, gegenüber des Stadtgartens „Gradska gradina“, wo eine Rentnerband spielt, steht eines der schönsten Gebäude Sofias, das Nationaltheater „Iwan Wasow“, das nach dem gleichnamigen Schriftsteller benannt wurde.

Nationaltheater

Nicht weit davon liegt das stillgelegte Zentrale Mineralbad. Anfang des vorigen Jahrhunderts, als es noch keine Badezimmer in den Wohnungen gab, kamen die Sofioter sonntags nicht nur zum Baden in den schmucken Bau. „Hier wurde vor allem Klatsch ausgetauscht. Die öffentlichen Bäder waren sozusagen das Facebook des frühen 20. Jahrhunderts“, erzählt Stoyan lachend.

Mineralbad

Wir verabschieden uns von der Tour, denn das nächste Ziel, die Alexander Newski Kathedrale, haben wir bereits am Vortag besichtigt. Es ist halb eins und uns plagt der Hunger. Als bestes vegetarische Restaurant der Stadt wurde mir Sun & Moon in der ul. 6-ti Septemvri 39 empfohlen. Das kleine, zweistöckige vegetarische Restaurant mit eigener Bäckerei serviert typische bulgarische Spezialitäten - nur eben fleischfrei. Fast alle Gerichte werden auch in der veganen Variante serviert. Das mehrgängige Menü schmeckt so lecker, dass wir am nächsten Tag wiederkommen.

Sun and Moon

Bei unserem ziellosen Bummel durch die Straßen stehen wir plötzlich vor der drittgrößten Synagoge Europas. Sie ist für Besucher geöffnet und wir gehen hinein. Drinnen begegnen wir Leon Benatov, der als Kind mit seiner Familie in einem bulgarischen Lager interniert war. Er erzählt uns alles Wissenswerte zu dem Gebäude und zur Geschichte der Juden in Bulgarien.

Am nächsten Morgen wollen wir zur Kirche von Bojana, die acht Kilometer südlich des Stadtzentrums liegt. Im Anbau der kleinen Kirche aus dem 11. Jahrhundert, die zum Weltkulturerbe gehört, soll es wund wunderschöne Wandmalereien geben. Im Tourist Information Center in der Metrostation Serdica hieß es, der Bus an der Haltestelle Universität hinter der Kathedrale würde direkt nach Bojana fahren und von der Endstation wären es nur noch wenige Minuten zu Fuß.

Bojana

Der Fahrplan an der Haltestelle ist in kyrillischen Buchstaben. Ich hatte mal ein paar Semester Russisch, kann die Schrift einigermaßen entziffern und erkenne das Wort Bojana. Wir steigen ein, fragen den Busfahrer, ob wir auch richtig sind, aber er versteht nur Bulgarisch. Wir fahren auf gut Glück mit. Die Anzeigetafeln im Bus sind in kyrillischen Schriftzeichen, und bevor ich etwas entziffern kann, verschwinden sie auch schon wieder. Als einer der Fahrgäste hört, dass wir auf Englisch darüber diskutieren, ob wir im richtigen oder falschen Bus sitzen (Pat, mein Mann, ist Amerikaner), spricht er uns an, steigt an der Endstation mit uns aus und erklärt uns den Weg: „Es sind 10 Minuten zu Fuß, immer geradeaus, am Sitz des Staatspräsidenten vorbei, links und dann wieder geradeaus.“ Wir sind schon 30 Minuten bergauf unterwegs, aber keine Kirche ist in Sicht. Auch keine Hinweisschilder. Gerade als wir beschließen umzukehren, sehen wir an einer Kurve ein Taxi stehen, steigen ein und lassen uns zur Kirche fahren. Ohne Taxi hätten wir sie wohl kaum gefunden, so versteckt liegt sie. Wir bitten den Fahrer zu warten, denn wir haben keine Lust, die ganze Strecke bei brennend heißer Sonne in die Stadt hinunter zu laufen. Taxifahren in Bulgarien kostet gerade mal so viel wie ein Busticket zuhause.

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Der Anbau mit den Wandmalereien ist so klein, dass nur fünf Personen gleichzeitig eintreten dürfen. Die ausdrucksstarken Fresken sind einzigartig. Lange können wir sie uns nicht anschauen, denn nach gerade mal fünf Minuten wird der alte orthodoxe Priester ungeduldig und ermahnt uns zum Gehen, da die nächsten Besucher herein wollen. Der Fahrer bringt uns zurück in die Stadt und setzt uns in der Nähe des Vitoscha Boulevards ab.

Einkaufsstr

Auf dem geschäftigen, autofreien Boulevard, den Straßen Pirotska, Rakovski und Graf Ignatiev befinden sich in ehemaligen Prachtbauten aus der Zeit um 1900 und in neu gebauten Glaspalästen Läden internationaler Ketten, jede Menge Boutiquen, Parfümerien und Juweliere. Zwischen den Läden gruppieren sich Tische und Stühle kleiner Kneipen und Straßencafés.

Die Einkaufsstraßen unterscheiden sich kaum von denen westlicher Großstädte - mit der Ausnahme, dass uns aus dem einen oder anderen Schaufenster das Konterfei Putins von Kissen und T-Shirts entgegen lächelt.

Wir entscheiden uns für die kleinen Seitenstraßen des Vitoscha Boulevards. Dort ist kaum jemand unterwegs. Von Hauswänden blättert der Putz, Dächer sind eingestürzt und Gras wuchert in Gärten, um die sich niemand kümmert. Nur Satellitenantennen auf den Balkonen erinnern daran, dass die Gebäude noch bewohnt sind.

Haus Sofia

Sofia 1Zwischen verfallenen Häusern taucht immer wieder ein neu gebauter Glaspalast auf.

Telefone und Kioske findet man in Sofia an jeder Straßenecke.

 

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In Sofia wird der Verkehr von diesem Häuschen aus geregelt.

 

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Version 2… und immer wieder stößt man auf kaputte Gehwege.

Im Inneren der Zentralen Markthalle.