Im ausgehenden 19. Jahrhundert als Wurzelbunker verschrien, ist das Haus Hiltl heute ein Wahrzeichen Zürichs. Im innovativsten, kosmopolitischsten und kinderfreundlichsten Restaurant der Stadt geben sich Menschen aus aller Welt und allen Kulturen, darunter auch viele Prominente, die Klinke in die Hand. Das war nicht immer so.
Die Auswahl des Buffets ist überwältigend. Exotische Gerichte aus allen Teilen Asiens in allen Variationen, warm und kalt. Pasta- und Salatkreationen, arabische Teigtaschen, außergewöhnliche Suppen, köstlich aussehende Desserts und Kuchen, eine große Auswahl an frischen Fruchtsäften. Als Gast hat man die Qual der Wahl. Nicht nur das Büffet, auch das Ambiente ist ein Fest für die Augen: Modern, elegant, mit großen Fensterfronten, viel Glas und durch die bunten Stoffe des Designers Jakob Schlaepfer, die bequemen Sessel und die klassischen Kronleuchter doch gemütlich.
„Das hier ist unsere Welt, unser ganz persönlicher Geschmack. Meine Frau Marielle, die aus Paris stammt, und ich haben den Stil des Hauses während der letzten 20 Jahre zusammen entwickelt. Wir wollten ein Restaurant betreiben, in dem wir uns wohlfühlen und auch selber gern wohnen würden“, sagt Rolf Hiltl, der das Haus Hiltl in vierter Generation leitet.
Als Grasfresser verspottet betraten viele Gäste das 1898 eröffnete „Vegetarierheim und Abstinenz-Café“ in der Sihlstraße nur durch die Hintertür. Zu diesen Gästen zählte der Oberpfälzer Schneidergeselle Ambrosius Hiltl, der im Jahr zuvor nach Zürich gekommen war nicht. Er war schließlich weder Vegetarier noch Abstinenzler. Als er aber 1901 an Gelenkrheumatismus erkrankte, seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte und der Arzt ihn zu fleischloser Kost verdonnerte, wurde er Stammgast im Vegetarierheim und dank der vegetarischen Diät bald wieder gesund. Anstatt zu Nadel und Faden zurückzukehren nahm der nun überzeugte Vegetarier 1903 die Stelle als Geschäftsführer seines Stammlokals an, heiratete im Jahr darauf die vegetarische Köchin Martha Gneupel und erwarb das Vegetarierheim im selben Jahr.
Anders als sein Urgroßvater Ambrosius ist Rolf Hiltl kein strenger Vegetarier. „Ich bin ein sogenannter Flexitarier, ein Teilzeitvegetarier“, sagt er. „Wenn ich hier im Restaurant bin esse ich sehr gerne vegetarisch, aber zuhause ab und zu auch mal Fisch und Fleisch. Mein Urgroßvater war in seiner vegetarischen Ernährung sehr konsequent und ist letztendlich 97 Jahre alt geworden, ein Beweis dafür, dass die vegetarische Küche sehr gesund ist“.
Während der letzten 100 Jahre hat das Hiltl immer wieder Wandel und Neuerungen erfahren. Aus dem Vegetarierheim wurde „Hiltl’s Vegi“. In den 1930er Jahren war es das erste Restaurant Zürichs mit einer vollelektrischen Großküche, was damals großes Aufsehen in Fachkreisen erregte. In den 1950er Jahren revolutionierte Rolf Hiltls Großmutter die Küche. Statt auf die damals üblichen Knödel und Mehlgerichte setzte sie auf indisches Essen. „Meine Großmutter war 1952 als Schweizer Delegierte zum Weltvegetarier-Kongress in Delhi eingeladen. Sie war total begeistert von der fremden Kultur, von den Menschen, vom Essen und den Gewürzen. Sie kam mit einem Koffer voller Gewürze und Rezepte zurück, ging zum damaligen Küchenchef, meinem Großonkel, und sagte ‚wir machen indische Küche’. Der wollte davon nichts wissen. ‚Ausländisches Zeug kommt mir nicht in die Küche’ schimpfte er. Meine Großmutter hat daraufhin oben in ihrer Privatküche die indischen Gerichte zubereitet und sie am nächsten Tag im Restaurant serviert“, erzählt Rolf Hiltl. „In den 1950ern kannte man kein indisches Essen in Zürich, es war zu exotisch und kam anfangs nicht gut an“, lacht er. Heute, über 50 Jahre später, ist die indische Küche ein fester Bestandteil des Restaurants. „Es gibt sehr viele Inder, die zu uns kommen“ sagt Rolf Hiltl. „Als ich mit meiner Frau vor 20 Jahren in Indien war kamen während einer Party Leute auf uns zu die uns erkannten und sagten ‚ah, Hiltl Zürich!“
Die asiatische Küche spielt eine wichtige Rolle im Hiltl und das hat seinen Grund. „Asiatische Kulturen sind viel offener für vegetarisches Essen, die vegetarische Küche existiert dort seit Jahrhunderten. Wir lassen uns heute sehr stark von asiatischen Kulturen beeinflussen“, erklärt Rolf Hiltl. „Wir haben viele Thai-Currys die bei den Gästen sehr gut ankommen, Gerichte aus Indonesien, Malaysia und viel aus China. Ich war Anfang des Jahres zehn Tage lang mit meiner Frau in Shanghai und wir haben uns dort inspirieren lassen. So wie es bei uns Fleischmärkte gibt, gibt es dort Tofumärkte mit einer großen Auswahl an Seitan, Tempeh usw. Wir werden im Herbst eine vegetarische Metzgerei eröffnen, wo wir neben Tofuwürsten unsere hausgemachten Chutneys und Soßen verkaufen“.
1973 führte das Hiltl das erste Salatbuffet in Zürich ein, das noch heute Pioniercharakter hat. Als 1993 erstmals Alkohol auf der Getränkekarte des Hiltl auftauchte, folgte ein Aufruhr in der Presse. „Der Tagesanzeiger schrieb damals, dass nun wohl auch bald Fleisch eingeführt würde“, erinnert sich Rolf Hiltl. „Meine Großmutter war so sauer, dass sie zwei Wochen lang nicht mehr mit mir geredet hat“, lacht er. „Ich sehe jedoch keinen Zusammenhang zwischen Alkohol und Fleisch – schließlich ist Alkohol vegetarisch. Das Hiltl wird immer vegetarisch bleiben, ob ich zwischendurch Fisch esse spielt dabei keine Rolle“.
Rolf Hiltl, der im Zürcher Nobelhotel Dolder Grand ganz traditionell eine Kochlehre nach Escoffier (dem Papst der französischen Küche) absolviert hat, steht selbst nur noch selten am Herd. Die Organisation des Hauses Hiltl lässt ihm dazu keine Zeit mehr. Er ist jedoch dabei, wenn neue Rezepte entwickelt werden und nimmt entscheidenden Einfluss darauf.
Im Haus Hiltl arbeiten heute 200 Menschen aus 50 Nationen. „Unser Team ist sehr multikulturell“ sagt Rolf Hiltl. Wenn wir eine freie Stelle haben schauen wir, dass wir Bewerber aus Nationen bekommen, die noch nicht vertreten sind – diese haben Vorzug vor einem Schweizer. So haben wir vor kurzem die erste Japanerin eingestellt.“
Das Haus Hiltl ist seit seinem Umbau 2007 größer geworden. Das Restaurant verteilt sich auf zwei Etagen. Eine aufwändige Glaskonstruktion gewährt Gästen von beiden Etagen aus einen Einblick in die Küche im Untergeschoss.
In der oberen Etage befindet sich zudem ein hauseigenes Kochatelier, wo unter Leitung der Frankfurterin Dorrit Voigt, der Zürcherin Anna Schlatter und des Wiener Kochs Wolfgang Potzmann täglich vegetarische Kochkurse stattfinden – für Erwachsene, Kinder, Jugendliche und Familien.
Ab 23 Uhr verwandelt sich das Restaurant von Donnerstag bis Sonntag bis in die frühen Morgenstunden in einen angesagten Club und Szenetreff.
Einschließlich des Straßencafés hat das Restaurant 550 Sitzplätze. Täglich kommen 2.000 Gäste, wovon rund 80 Prozent keine Vegetarier sind.
„Die Gäste sind sehr individuell, vom Baby bis zur Großmutter, mit und ohne Hund, vom Studenten bis zum Bankdirektor“, sagt Rolf Hiltl. Auch Prominente kommen immer wieder ins Hiltl. Das dicke VIP-Gästebuch, das seit 1948 geführt wird, ist voller Zitate von Künstlern, Musikern, Schauspielern, Politikern, Sportlern und Nobelpreisträgern. Paul McCartney hat hier schon gegessen, Tina Turner und Sebastian Vettel sind oft gesehene Gäste. Auch bei Angehörigen des jüdischen und muslimischen Glaubens ist das Hiltl sehr beliebt. „Wir haben sehr viele koschere Gerichte“, erklärt Rolf Hiltl. Ein Rabbiner hat mal zu meiner Großmutter gesagt, wenn schon nicht koscher dann wenigstens Hiltl und das ist etwas, was die Leute hier wissen. Wir haben auch viele Halal-Gerichte für Muslime. Es kommen viele Hindus, das Publikum ist bunt gemischt, wir sind offen für alle Kulturen. Ich liebe die Vielfalt der Menschheit und die Vielfalt des Essens – das spüren die Gäste und deshalb fühlen sie sich hier auch wohl“.
INFO:
Allgemeine Auskünfte: Zürich Tourismus.
Haus Hiltl, Sihlstraße 28 (nahe Bahnhofstraße, ab Hauptbahnhof 8-10 Minuten zu Fuß).
Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch von 6 Uhr morgens bis Mitternacht, Donnerstag bis Samstag 6 Uhr morgens bis 4 Uhr früh, Sonntag 8.00 Uhr bis fertig.
Weitere Informationen: www.hiltl.ch
Tipp: Mit der Zürich Card, die für 24 Stunden 20 Franken (72 Stunden 48 Fr.) kostet, gibt es freie Fahrt in Tram, Bus, Bahn, Schiff und Seilbahn in ganz Zürich, freien Eintritt in die meisten Museen sowie Prozente im Hiltl und anderen ausgewählten Restaurants.
Die Reise wurde von Zürich-Tourismus unterstützt.
November 19, 2013 um 12:05 nachmittags
Hallo Cornelia, das Restaurant habe ich echt verpasst in Zürich! Ein Grund mehr, noch mal dorthin zu fahren. LG, Elke
November 19, 2013 um 12:10 nachmittags
Das Essen ist echt lecker … ich esse immer viel zu viel, wenn ich dort bin.
November 30, 2013 um 4:09 nachmittags
Tja, Cornelia, ist professionell geschrieben, Chapeau. Ich wünsch dir eine gute Zeit… Ernst
November 30, 2013 um 9:15 nachmittags
Danke, dir auch eine schöne Zeit.
Dezember 17, 2013 um 4:43 nachmittags
Du weißt, ich kann nicht Deutsch sprechen, aber Ihre Fotos erzählen die Geschichte.