„No, no, no!“ schimpft der Türsteher, als sich eine Frau an ihm vorbei drücken will und verweist sie mit seinem Zeigefinger ans Ende der Schlange. „Tiene que esperar, como todos!“ (Sie müssen warten, wie alle anderen auch). Sobald ein paar Gäste das Café verlassen, lässt der distinguierte alte Herr zwei oder drei der Wartenden hinein.
Das Tortoni ist kein Café, in das man so einfach hinein spazieren kann. Man muss warten. Die Schlangen vor dem Eingang sind fast zu jeder Tageszeit endlos lang. Es sei denn, man kommt gleich morgens um 8, man ist Stammgast, eine lokale Berühmtheit oder Politiker auf Staatsbesuch.
Als wir endlich hinein dürfen, zähle ich mindestens zehn freie Tische. „Para clientes habituales“ (für Stammgäste), erklärt der Kellner als ich ihn frage, warum man Schlange stehen muss, wenn es so viele freie Tische gibt. Würde ich hier leben, dürfte das Tortoni auch mich zu seinen Stammgästen zählen. Ein Café, das seinen Stammgästen Tische freihält findet man nicht überall. Zu den berühmtesten Stammgästen zählten die Schriftsteller Jorge Luis Borges, Ernesto Sabato und Baldomero Fernández Moreno. Letzterer hat dem ältesten und berühmtesten Café Argentiniens 1925 das Gedicht „Café Tortoni“ gewidmet.
Kaffeehäuser sind in Buenos Aires so wichtig wie damals im alten Wien. Sie sind das eigentliche Wohnzimmer der Hauptstädter. Hier wird diskutiert, gestritten, über Politik, Wirtschaft und die Verwandtschaft geschimpft, hier werden Pläne geschmiedet und Verträge unterschrieben. Rund 8000 Cafés soll es in Buenos Aires geben.
Im Tortoni gehen seit über 150 Jahren Künstler, Intellektuelle und Politiker ein und aus. Eröffnet wurde das Café 1858 von einem Franzosen, der es nach dem damals berühmten gleichnamigen Café auf dem Boulevard des Italiens in Paris benannte. Seit dem frühen 20. Jahrhundert hat das Tortoni seine Innenausstattung nicht mehr verändert. An den Wänden hängen Gemälde argentinischer Maler des 20. Jahrhunderts wie Benito Quinquela Martin, Perez Celis, Emilia Bertolé und gerahmte Fotografien der berühmten Stammgäste und Tangosänger, die im Café aufgetreten sind.
Bevor er erblindete verfasste Jorge Luis Borges an einem Tisch in der Ecke des Cafés einige seiner Kurzgeschichten. Dort sitzt er noch immer in Pappmaché verewigt zusammen mit der Dichterin Alfonsina Storni und Tangokönig Carlos Gardel, der hier aufgetreten ist. Im wahren Leben sind sich die beiden jedoch nie begegnet.
„Ich arbeite hier schon seit 37 Jahren als Kellner“, erzählt uns Angel. „Ich habe Borges und Ernesto Sabato Tee serviert“, erzählt er stolz und fügt hinzu „auch Hillary Clinton habe ich bedient, als sie im Oktober 1997 hier war. Sie hat eine Tasse heiße Schokolade getrunken“. Wie es sich für ein Grand Café gehört, tragen die Kellner im Tortoni einen klassischen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, eine schwarze Fliege und das obligatorische weiße Tuch über dem linken Arm.
Tango spielt eine große Rolle im Tortoni. Die Komponistin und Tango-Sängerin Eladia Blazquez, die selbst oft im Tortoni aufgetreten ist, hat den Tango „Viejo Tortoni“ dem Café gewidmet. Allabendlich treten ab 20.30 Uhr auf der kleinen Bühne im Sala Alfonsina Storni im hinteren Teil des Cafés Tangosänger auf.
INFO:
Adresse Café Tortoni: Avenida de Mayo 825.
Öffnungszeiten: Täglich von 8.00 bis 1 Uhr nachts.
Dezember 27, 2013 um 5:59 nachmittags
Dafür würde ich auch gern Schlange stehen. Ein schöner Bericht, wieder einmal, danke!
Januar 5, 2014 um 8:57 nachmittags
This is very pretty!
Januar 9, 2014 um 11:27 vormittags
Das Schlange stehen hab ich da vor ein paar Jahren noch nicht erlebt, is ja krass. Aber es lohnt sich wirklich, ein schönes uriges Kaffee mit Geschichte.
Leider hat ja inzwischen auch Star*ucks in Buenos Aires Einzug gehalten - ich erinnere mich an die Eröffnung der ersten Filiale (glaub 2008 war das), da sah die Schlange ähnlich aus wie hier vorm Tortoni. Aber ich hoffe, die alten Kaffees bleiben dennoch erhalten!
Januar 15, 2014 um 8:22 vormittags
so beautiful so beautiful… Astor Piazzolla in my mind and I walk through Borges’ world… Thank you, love, nia
Januar 15, 2014 um 11:00 nachmittags
Thank you, Nia. For me it is the most wonderful place in Buenos Aires.
Januar 22, 2014 um 4:46 vormittags
I have no doubt I’d feel right at home here, Cornelia! The atmosphere looks very inviting. There is lots to see on the walls about the city’s cultural history and the people who made it. I like the small dioramas, very thoughtful! But, you don’t tell us, was the coffee any good? People will only go back if the coffee is good!
Januar 24, 2014 um 10:57 nachmittags
The coffee is excellent, so is the fresh orange juice and the food they offer.
Januar 24, 2014 um 10:58 nachmittags
Aahh, thought so; all good reasons to go back! ;)
Oktober 9, 2014 um 6:58 nachmittags
I used to go to “el Tortoni” almost every day. Years ago. Before I left my city… Such an amazing place. Nostalgic!