In Bern regiert der Charme der Langsamkeit. Die Berner sprechen nicht nur langsamer als die übrigen Schweizer, sie sind auch viel gelassener. Hast und Hektik begegnen einem in der Schweizer Hauptstadt nicht. Die Berner genießen ihr Dasein und nehmen sich Zeit für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Wo sonst hätte Einstein unsere Vorstellungen von Raum und Zeit auf den Kopf stellen sollen wenn nicht im gemächlichen Bern?
In Bern geht alles einen Tick langsamer. Das ist wissenschaftlich bestätigt. Zumindest stellt das der britische Psychologie-Professor Richard Wiseman in seinem Buch „Quirkology – Die wissenschaftliche Erforschung unseres Alltags“ fest. Wiseman hat in einer Studie die durchschnittliche Gehgeschwindigkeit in weltweit 32 verschiedenen Städten gemessen. Dabei wurde ermittelt, wie viel Zeit Passanten benötigen, um zu Fuß eine Strecke von 18,29 Metern zurückzulegen. Bern landete auf dem drittletzten Platz, vor Bahrain und Malawi. Sprachwissenschaftler der Universität Bern fanden heraus, dass die Berner deutlich langsamer sprechen als der Rest der Schweizer.
„Berner sind nicht langsam, sondern in Bern wird entschleunigt, das ist ein Unterschied“, sagt Bern Tourismus-Direktor Markus Lergier und Verkehrsplaner Hugo Staub bekräftigt: „Wenn man sich die Langsamkeit leisten kann und dennoch rechtzeitig ans Ziel kommt, dann ist das doch Lebensqualität pur!“
„Da ist auf jeden Fall etwas Wahres dran, meint Andy Keller, Chefredakteur des in Bern beheimateten Globetrotter-Magazins und fügt hinzu: „Ich stamme ja ursprünglich aus Zürich und kann gut vergleichen. Zürich, das ist Weltoffenheit, Internationalität, Urbanität, Tempo, Geschäftigkeit etc. Bern ist eher behäbig, viel ruhiger als Zürich, ländlicher, kleiner. Man muss sehen, dass der Kanton Bern eigentlich ein Landwirtschaftskanton ist mit vielen Bauern. Heute noch kommen die Bauern jeden Samstag auf den Markt und verkaufen Ihre Waren, Früchte, Gemüse etc. vor dem Bundeshaus. Nur 15 Minuten von der Stadt gibt es uralte Bauernhäuser, zum Beispiel Emmental, und du fühlst dich um 200 Jahre zurückversetzt. Mach im Sommer eine Wanderung auf den Napf mit wunderbarer Aussicht aufs Emmental und die halbe Schweiz. Du kannst oben übernachten. Das ist die Schweiz wie zur Zeit des Dichters Jeremias Gotthelf. Der Berner Dialekt hat auch zum Mythos der Langsamkeit beigetragen. Hier spricht man viel langsamer als in Zürich. Die Berner sind insgesamt einfach gemütlicher und wohl auch gelassener“.
Nicht so der Hahn am Zytgloggeturm. Er hat es eilig. Flügelschlagend kräht er bereits vier Minuten vor der vollen Stunde, woraufhin sich ein Zug grimmig aussehender Bären in Bewegung setzt und seine Runde dreht. Ein rot gekleideter Narr nutzt seine Narrenfreiheit und schellt an zwei Glocken. Der Hahn kräht ein zweites Mal als die Bären im Turm verschwinden. Chronos, der Gott der Zeit, dreht seine Sanduhr und hebt das Zepter zum Kommando des Stundenschlags. Das ist das Zeichen für den goldenen Ritter Hans von Thann, der nun zum Takt des schwingenden Zepters mit einem Hammer an die große Glocke schlägt. Um sicherzugehen, dass die Anzahl der Schläge auch stimmt, zählt Chronos mit. Mit jedem Schlag öffnet er seinen Mund. Als der letzte Glockenschlag verstummt kräht der Hahn zum dritten Mal und verkündet die neue Stunde. Damals tickten sämtliche Uhren in Bern nach dieser Zeitangabe. Unter der riesigen Turmuhr befindet sich eine astronomische Uhr, die den Tag, Monat, Tierkreis und die Mondphasen angibt.
Meine Stadtführerin hat einen Schlüssel für den Turm und so habe ich die Gelegenheit, mir den Mechanismus des Monumentaluhrwerks, das der Waffenschlosser Kaspar Brunner zwischen 1527 und 1530 errichtete, aus der Nähe anzusehen. Die Ausmaße des Uhrwerks sind gewaltig. Räder, Hebel, Draht- und Seilzüge greifen harmonisch ineinander und es ist erstaunlich, dass nach fast 500 Jahren noch alles einwandfrei läuft. Ich steige weiter hinauf in den Turm von wo ich einen spektakulären Panoramablick über die Gassen und Dächer der Altstadt habe. Der Himmel ist klar und gibt einen Blick auf die Berner Alpen Eiger, Mönch und Jungfrau frei.
Die Altstadt liegt auf einer Halbinsel in der Aare. Goethe hat sie einst nach einem Spaziergang die schönste Stadt der Schweiz genannt. Seit 1983 gehört sie zum UNESCO-Welterbe. Das historische Zentrum beginnt an der Heiliggeistkirche am Bahnhofplatz, wo mit der Spitalgasse eine der längsten Einkaufspromenaden Europas ihren Anfang nimmt. Auf sechs Kilometern stehen Häuser und Paläste mit Arkaden, unter denen sich Läden, Boutiquen, Confiserien, Restaurants, Cafés, Lebensmittelgeschäfte und Einkaufszentren befinden.
Ein Einkaufsbummel bei Regen ist Dank der Lauben kein Problem. Man bleibt trocken. Unter den Arkaden geht es geschäftig zu, jedoch ohne eine Spur von Hektik und Stress. Einheimische und Touristen sind zum Einkaufen unterwegs. Keiner hastet, keiner drängelt. Die Gelassenheit der Berner scheint auf die Touristen abzufärben. Auch ich schalte einen Gang herunter und bewege mich viel langsamer vorwärts als sonst.
Die Arkadengänge werden nur unterbrochen, wenn die eine Gasse in eine andere mündet. So führt die Spitalgasse in die Marktgasse, die am Zytgloggeturm endet. Ich durchschreite das Tor und bin in der Kramgasse, wo der Zähringerbrunnen steht, einer der elf Figurenbrunnen der Stadt, die zwischen 1542 und 1549 geschaffen wurden. Der Brunnen soll an Herzog Berchtold V. von Zähringen erinnern, den Gründer Berns. Der Legende nach wollte der Herzog die Stadt nach dem ersten von ihm erlegten Tier benennen. Es war ein Bär, den er 1191 in dem neu gegründeten Ort erlegte. Aus Bär wurde Bärn und schließlich Bern. Das Standbild auf dem Brunnen zeigt einen aufrecht stehenden Bären mit Spangenhelm. In der rechten Pranke hält er ein rotes Banner mit einem goldenen Löwen, das Berner Zähringerwappen.
Der originellste und meistfotografierte Figurenbrunnen ist jedoch der Kindlifresserbrunnen am Kornhausplatz. Die Figur des Kindlifressers ist von acht gefangenen Kindern umgeben. Einige hängen an einem Riemen, andere stecken in einem Sack, eines stopft er sich gerade in seinen Schlund. „Wenn unsere Kinder nicht brav sind, drohen wir ihnen mit dem Kindlifresser“ höre ich eine Bernerin hinter mir sagen.
In der Kramgasse 49 befindet sich das Einstein-Haus, wo Albert Einstein in den Jahren 1903 bis 1905 wohnte. Damals war er Beamter beim Schweizer Patentamt. Er selbst nannte seine Stelle „technischer Experte dritter Klasse“. In einem Brief an einen Freund schrieb er: „Mir geht es gut. Ich bin eidgenössischer Tintenscheißer mit ordentlichem Gehalt. Daneben reite ich auf meinem alten mathematisch-physikalischen Steckenpferd und fege auf der Geige – beides in engen Grenzen, welche mir mein zweijähriger Bubi für derlei überflüssige Dinge gesteckt hat“.
In diesen „engen Grenzen“ verfasste er die erste Abhandlung über die Relativitätstheorie. Heute befindet sich in seiner ehemaligen Wohnung im 2. Stock ein kleines Museum, das Bilder, Dokumente und Möbel aus seiner Berner Zeit zeigt. Einen umfangreicheren Einblick in sein Leben und seine wissenschaftliche Arbeit gewährt das Einstein-Museum im Historischen Museum am Helvetiaplatz.
Die Kramgasse und ihre Verlängerung, die Gerechtigkeitsgasse, waren im Mittelalter die Hauptachse der Stadt. Sie dienten als Marktplatz und Gerichtsort. Im Zentrum der Straße steht der Gerechtigkeitsbrunnen aus dem Jahr 1543. Auf der Brunnensäule steht Justitia mit verbundenen Augen, in der einen Hand das erhobene Richtschwert, in der anderen die Waage. Zu ihren Füßen sitzen untertänig Papst, Kaiser, Sultan und König mit ehrfürchtig geschlossenen Augen.
Die Gasse führt zur Nydeggbrücke. Auf der anderen Seite der Brücke liegt der Bärengraben. Seit 1513 halten die Berner ihr Wappentier in einem Graben. Dieser wurde 2009 um 6.000 Quadratmeter zum Bärenpark am Aareufer erweitert. Derzeit leben dort die drei Braunbären Björk, Finn und Ursina. Sie haben heute jedoch keine Lust sich zu zeigen, auch wenn ein paar italienische Touristen noch so sehr nach ihnen schreien: „Orsi, ma dove siete?“ (Bären, wo seid ihr nur?).
Ich laufe an der Aare entlang zum Schwellenmätteli, wo ein Riverside-Lunch auf mich wartet. Die riesige Terrasse des Restaurants erstreckt sich weit über das Wasser hinaus. Mein Tisch liegt direkt an einem kleinen Wasserfall. Hinter mir höre ich das Rauschen des Wassers, vor mir habe ich eine einzigartige Sicht auf die Kulisse der Altstadt, das Münster und das Bundeshaus. Ewig möchte ich hier verweilen. Die Terrasse ist gut besucht. Die Gäste genießen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Herbstes. Von der Kellnerin erfahre ich, dass im November auf dem hinteren Teil der Terrasse eine Fondue-Hütte aufgestellt wird, in der an langen Holztischen bis zu 100 Personen Platz haben.
Nach dem Essen marschiere ich über die Kirchenfeldbrücke in die Altstadt zurück. Auf dem Bundesplatz war am Morgen Markt und die letzten Marktstände werden gerade abgebaut. Imposant ragt das Bundeshaus, Sitz der Schweizer Regierung, vor mir auf. Das Gebäude wurde zwischen 1852 und 1902 im Stil florentinischer Paläste des 15. Jahrhunderts errichtet.
Von der Bundesterrasse hinter dem Palast habe ich einen herrlichen Blick über die Aare und die Stadtbezirke auf der anderen Seite des Flusses.
Am Abend findet das Lichtspektakel „Rendez-vous Bundesplatz“ statt. Fröstelnd stehe ich mit mehreren hundert großen und kleinen Bernern auf dem Platz und schaue zu, wie sich nach Anbruch der Dunkelheit das Bundeshaus in ein Schloss der Legenden verwandelt.
Der imaginäre König der Schweiz will seine Tochter Helvetia mit dem besten Armbrustschützen der Nation, Willhelm Tell, verheiraten. Doch diese ist in einen kleinen Uhrmacher verliebt. Im Laufe des Spektakels tauchen in mehr als einem Dutzend unterschiedlicher Szenarien Schweizer und Berner Legenden auf und die Fassade des Bundeshauses verwandelt sich in Paläste der verschiedensten Art in den herrlichsten Farben. Von dem Märchen verstehe ich allerdings nicht viel, denn es ist auf Berndeutsch.
Durchfroren komme ich im Lötschberg, dem Schweizer Spezialitätenrestaurant in der Zeughausgasse, an. Das Ambiente ist eine Mischung zwischen urban und rustikal. An den Wänden sind stilvolle runde Regale mit Weinen angebracht. 218 verschiedene Schweizer Weine, wie mir die Kellnerin versichert. Das Publikum besteht vorwiegend aus Studenten und jungen Familien. Lediglich ein Mitvierziger sitzt mit einer Zeitung an einem Tisch in der Ecke. Auf der Speisekarte stehen Raclette, Fondue, Rösti und andere Käsespezialitäten. Bei einem Raclette „for one“ und einem Rotwein aus Graubünden lasse ich den Abend ausklingen.
INFO
Allgemeine Informationen: Bern Tourismus
Anfahrt: Mit der Bahn ab mehreren deutschen Städten, z.B. ab Mannheim Dauer 3 Stunden 20 Minuten.
Übernachten: Best Western Hotel Bern (4*), in der Zeughausgasse (nahe Zytgloggeturm) oder Hotel Kreuz (3*), ebenfalls Zeughausgasse.
Essen:
Schwellenmätteli, Dalmaziquai 11, aktuelle Öffnungszeiten auf der Website des Restaurants. Fondue-Hütte bis Ende Februar Mittwoch bis Samstag ab 18 Uhr.
Lötschberg, Zeughausgasse 16, Montag bis Samstag 9-0.30 Uhr, Sonntag 11-23 Uhr.
Mein Tipp: Tibits, über 40 vegetarische und vegane Gerichte, frisch gepresste Säfte, Weine und leckere Desserts. Am Bahnhofplatz (gegenüber Heiliggeistkirche), Montag bis Donnerstag 6.45-23.30 Uhr, Freitag bis 24 Uhr, Samstag 8-24 Uhr, Sonntag 9-23 Uhr (Brunch 9-14 Uhr).
Die Reise wurde von Bern Tourismus unterstützt.
November 4, 2013 at 8:12 nachmittags
Mein Deutsch ist nicht sehr gut, aber….der Dächern sind sehr schön!! =)
November 5, 2013 at 6:52 vormittags
Danke!!
November 4, 2013 at 9:47 nachmittags
Really beautiful pictures and I was able to read some yet again… with this practice my German reading skills will return as before! ~SueBee
November 5, 2013 at 6:52 vormittags
Thank you - keep on practicing!!
November 5, 2013 at 1:14 nachmittags
Du hast die Stadt Bern einmalig und treffend beschrieben, ich merkte sofort, dass Du die Stadt und ihre Menschen sehr magst. Betreffend Entschleunigung hat Mahatma Gandhi mal geschrieben: “Es gibt wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.” Grüess. Ernst
November 5, 2013 at 7:56 nachmittags
Stimme mit Gandhi vollkommen überein!!
November 12, 2013 at 10:44 vormittags
Bern seems a really beautiful place! Loved your pictures, and love Europe and it’s architecture and different scenarios! Looking at your photos I added Bern to my “next destination’s list”.
November 12, 2013 at 10:46 vormittags
Thank you!! I am delighted you like my photos. You should definitely visit Bern!