Teotihuacán – wo der Mensch zum Gott wird

August 29, 2013

Mexiko

Sonnenpyramide

Wer diese monumentale Stadt mit Pyramiden, Tempeln und Palästen erbaut hat und wer ihre Einwohner waren ist bis heute nicht bekannt. Als die Azteken die verlassene Ruinenstadt im 14. Jahrhundert vorfanden, sahen sie in ihr einen mythischen Ort und nannten sie Teotihuacán, was übersetzt „dort, wo der Mensch zu Gott wird“ bedeutet. Die Azteken glaubten, dass hier die Welt erschaffen und Götter geboren wurden. Hauptattraktion ist die Sonnenpyramide, die Lebensenergie verspricht.

Teotihuacán

La Pirámide del Sol - Sonnenpyramide

Der Chac-Mool hat es gut. Er muss die 248 Stufen bis zur Spitze der Pyramide nicht hinaufsteigen. César trägt ihn. Mit angewinkelten Beinen, den Kopf zur Seite geneigt, sitzt er in Césars Händen. Der Chac-Mool ist eine kleine Skulptur, César unser mexikanischer Tourguide.

Chac-Mool

„Wenn ich den Chac-Mool auf das Auge der Pyramide lege und die Götter um Segen bitte, wird er mit göttlicher Energie geladen“, hatte der abergläubische César uns erklärt, als er die kurz zuvor gekaufte Skulptur aus dem Kofferraum riss und mit ihr Richtung Sonnenpyramide davon stürmte. Als wir endlich die Hälfte der Stufen geschafft haben, steht César schon auf der Spitze. Wie hat es der alte Mann nur geschafft, in so kurzer Zeit oben zu sein ohne auch nur ein einziges Mal stehen zu bleiben?

Teotihuacán

Die Stufen sind uneben und steil. Die Hitze drückt erbarmungslos, die Sonne blendet. Wir schaffen jeweils nur eine der fünf Terrassen ohne Pause und bleiben auf den Treppen immer wieder stehen, um die Aussicht zu bewundern. Vor uns liegt das mächtige Cerro-Gordo-Massiv, unter uns die Straße der Toten, links von uns die Mondpyramide.

Teotihuacán

Mondpyramide

Dafür hat César kein Verständnis. Ungeduldig winkt er mit dem Chac-Mool zu uns herunter. Wenn er das gute Stück bloß nicht fallen lässt! Als wir oben ankommen verliert er keine Zeit. Er geht in die Hocke und legt den Chac-Mool auf das Auge der Pyramide. Während er eine Hand unter die Skulptur schiebt, sodass ein Finger das weiß glänzende Pyramidenauge berührt, streckt er den linken Arm mehrmals in den Himmel und beschwört den Sonnengott, die Skulptur mit Energie zu laden. Zuletzt bittet er um Energie für sich selbst. Die scheint er zu bekommen, denn in weniger als fünf Minuten ist er samt meines Chak-Mools in der einen Hand und einer Zigarette in der anderen schon wieder am Fuß der Pyramide.

Teotihuacán

César bei seinem Ritual auf dem Auge der Pyramide.

Die heutige Ruinenstätte Teotihuacán war zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert mit 200.000 Einwohnern die größte Stadt Amerikas und eine der größten Städte der Welt. Der Name des Volkes, das das Tal um 100 vor Chr. besiedelte, ist nicht bekannt. Auch ist nicht bekannt, warum sie das Tal um 750 n. Chr. wieder verließen. „Dieses Volk entstand aus dem Nichts, beherrschte zwischen 350 und 650 den gesamten Kontinent und verschwand wieder ins Nichts. Ich bin mir sicher, sie verließen das Tal, weil es kein Wasser mehr gab“, sagt César. Archäologen nehmen an, dass die Bewohner die wichtigsten Gebäude im Zentrum in einem rituellen Akt niederbrannten, bevor sie verschwanden.

Teotihuacán

Die Sonnenpyramide, die um 100 nach Chr. errichtet wurde, liegt im Zentrum des Tals. Archäologen haben berechnet, dass 2000 Männer etwa 20 Jahre lang an der Pyramide gearbeitet haben. Mit einer Seitenlänge von 225 Metern, 65 Metern Höhe und einem Volumen von einer Million Kubikmetern ist sie das zweitgrößte Bauwerk im vorspanischen Mittelamerika und die drittgrößte Pyramide der Welt. César widerspricht. „Zumindest vom Volumen her ist sie die größte Pyramide der Welt!“

Teotihuacán

Gegen das grelle Sonnenlicht in Teotihuacán hilft manchen ein Regenschirm!

Zur Zeit der Azteken thronte auf der obersten Terrasse der Pyramide ein Tempel, der dem Sonnengott geweiht war. „Am 21. März kommen wir zu Tausenden auf die Pyramide, um den Frühlingsanfang zu begrüßen“, erzählt César. „Ein herrliches Spektakel, das ihr einmal erleben solltet“, fügt er hinzu. Zwei Mal im Jahr steht die Sonne am Mittag genau über dem höchsten Punkt der Pyramide, am 19. Mai und am 25. Juli. „Wer da seine Hand auf das Auge der Pyramide legt, wird mit enormer Lebensenergie aufgeladen, die das ganze Jahr über anhält“, sagt César. Ob der Kettenraucher die 248 Stufen deshalb mit solcher Leichtigkeit erklomm?

Teotihuacán

INFO

Teotihuacán liegt 53 Kilometer nordöstlich von Mexiko-Stadt. Ab dem Busbahnhof Central del Norte fahren alle 15 Minuten Busse dorthin (Richtung Los Pirámides). Der letzte Bus nach Mexiko-Stadt verlässt Teotihuacán um 18 Uhr. Von der Bushaltestelle in Teotihuacán ist es noch ein kleiner Fußmarsch bis zu den Pyramiden.

Tipp: Viele Hotels arrangieren Privattouren mit Fahrer und Tourguide, die umgerechnet etwa 50 Euro kosten und wesentlich bequemer sind.

Günstige Reisen nach Mexiko-Stadt und meinen ganz besonderen Geheimtipp gibt es bei Neckermann.

Teotihuacán

Am Fuße der Sonnenpyramide bieten fliegende Händler ihre Waren an.

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