Spektakuläre Gipfel, einzigartige Bergformationen, romantische Bergseen, Sagen und Legenden, weitläufige Täler, idyllische Ortschaften, ein dichtes Netz an Wanderwegen, und Pasta on the Rocks – das Hochpustertal verspricht Besuchern ein einzigartiges Erlebnis.
Der Regen hat aufgehört, und über dem Haunold reißt der Himmel auf. Innerhalb von wenigen Minuten kehrt Leben ein in das Zentrum des kleinen Städtchens, das eben noch verlassen unter einer grauen Wolkendecke lag. Stimmengewirr erfüllt die Fußgängerzone. „Finalmente c’é il sole!“ (endlich Sonne) ruft mir ein italienischer Händler zu als er aus seinem Laden tritt und zum Himmel hinauf schaut. In den Straßencafés wischen Kellner Tische und Stühle trocken, die nur wenige Minuten später von Einheimischen und Touristen besetzt werden. Jugendliche tauchen wie aus dem Nichts auf Skateboards auf. Rentnerinnen mit Einkaufstaschen stehen auf der Piazza San Michele und tauschen Neuigkeiten aus, drei Hobbyrennfahrer biegen rasant um die Ecke, ein Junge rennt laut kreischend einem Hund hinterher, der sich von der Leine losgerissen hat.
Die Fußgängerzone ist das Herz von Innichen. Hier treffen sich die Einheimischen aus allen Teilen des Hochpustertals und Touristen aus dem benachbarten Österreich zum Shoppen, Flanieren oder zum Dolce Far’Niente in einem der vielen Cafés und Restaurants. Für einen Ort mit nur 3.200 Einwohnern ist eine Fußgängerzone keine Selbstverständlichkeit. Dass eine Skipiste mitten ins Zentrum führt und in der Mitte des kleinen Städtchens gleich zwei Kirchtürme stehen, auch nicht.
Beherrscht wird Innichen vom Haunold. Mit seiner Flucht von Türmen, Pfeilern und Zacken ist der 2966 Meter hohe Berg der am weitesten gegen das Pustertal vorgeschobene Eckpfeiler der Sextner Dolomiten.
Um den Berg rankt sich die Sage um den Riesen Haunold, Sohn eines römischen Feldhauptmannes, der im Kampf gegen die Hunnen getötet wurde. Durch eine List entkam seine Amme mit ihm ins hinterste Villgratental, wo sie von der Hexe Lottermoidl den Rat erhielt, sich bei einer nahen Quelle zu verbergen. Das Wasser dieser Quelle war wundertätig, sodass Haunold zu einem Riesen heran wuchs. Inzwischen hatten die Hunnen Burg Heinfels errichtet und herrschten grausam über das Pustertal. Als Herzog Tassilo in die Gegend kam und in St. Oswald lagerte kam eine Abordnung der Bauern zu ihm mit der Bitte, die Hunnenherrschaft zu beenden. Der Herzog belagerte die Hunnenburg, konnte sie aber nicht einnehmen. Auch dem Hunnenfürst gelang es nicht, die Truppen des Herzogs entscheidend zu schlagen, sodass die Entscheidung im Zweikampf fallen sollte. Der Hunnenfürst war jedoch von so mächtiger Gestalt, dass der Herzog einen Boten zur Quelle schickte, um Haunold um Beistand zu bitten. An der Mündung des Sextnerbaches in die Drau kam es zum Kampf zwischen dem Riesen und dem Hunnenfürsten, bei der Haunold den Hunnen bezwang und ihm eine Rippe herausriss, die heute über dem Tor der Stiftskirche in Innichen hängt. Herzog Tassilo gründete zum Dank das Kloster Innichen, an dessen Bau Haunold tatkräftig mitwirkte. Haunold zog sich später als Einsiedler zurück und schläft bis heute im gleichnamigen Berg. So die Sage. Fakt ist, dass Bayernherzog Tassilo im Jahr 769 dem Abt Atto von Scharnitz einen Landstrich schenkte mit der Auflage, eine Benediktinerabtei zur Missionierung zu gründen. Daraus entstand der heutige Ort.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war Innichen aufgrund seiner Heilquellen ein beliebter Kurort der Reichen und des Adels aus dem In- und Ausland. Berühmte Kurgäste waren der österreichische Kaiser Franz Josef und der deutsche Kaiser Wilhelm. Der Besitzer des Luxus-Heilbades verarmte während des 1. Weltkriegs, die Kuranlagen verfielen und die Heilquellen flossen ungenutzt. Heute wird das Wasser der Quellen von der Innicher Mineralwasser AG genutzt und in Flaschen abgefüllt als Kaiserwasser verkauft.
Innichen ist Ausgangspunkt zu den schönsten Orten im Hochpustertal. Mit der Helmbahn bei Sexten geht es innerhalb weniger Minuten über 2400 Meter hinauf zum Helm, dessen weit ins Gelände vorgeschobene Kuppe einen spektakulären Blick über bewaldete Täler, Dörfer und die Sextner Dolomiten bietet. Nirgendwo sonst in den Alpen stehen die Gipfel einer bestimmten Berggruppe so klar und übersichtlich da wie die Gipfel der Sextner Dolomiten. Man kann sie geradezu mit den Augen durchwandern und sich sozusagen die Wanderwege für die nächsten Tage an Ort und Stelle aussuchen. Nur wenige Wanderer und Mountainbiker sind an diesem Morgen unterwegs. Der Himmel ist strahlend blau und die Sicht so klar, dass man sogar die Hohen Tauern, den Großglockner und die Ötztaler Alpen sehen kann.
Vor der Kulisse der Sextner Sonnenuhr steht ein Alphornbläser und spielt eine schaurig schöne Melodie, deren Echo noch hörbar ist, als er sein Instrument absetzt. Auf dem Gipfel steht die Ruine der Helmhütte, eine ehemalige Unterkunftshütte der italienischen Grenzbeamten aus Zeiten vor dem Schengener Abkommen. Wenig unterhalb markiert ein Stein die Grenze zwischen Italien und Österreich. Anemonen, Enziane und Trollblumen tauchen die Wiesen entlang des Wanderweges in einen Farbenrausch ohnegleichen.
Nur 10 bis 15 Autominuten von Innichen entfernt liegt mitten im Naturpark Fanes-Sennes-Prags der smaragdgrün schimmernde Pragser Wildsee, an dessen Ufern Dolomitengipfel imposant nach oben ragen. Er wird als Perle der Dolomitenseen bezeichnet.
Die Kulisse dient derzeit als Drehort für die italienische Fernsehserie „Un passo dal cielo“ (Dem Himmel nah) mit Terence Hill, der während der Dreharbeiten in Innichen wohnt.
Von der Entstehung des Pragser Wildsees erzählt eine Sage, nach der einst Wilde in den Bergen nach Gold und Edelsteinen schürften. Die ansässigen Hirten waren neidisch und versuchten, die angehäuften Schätze der Wilden zu Rauben. Dies gelang nicht, denn die Wilden öffneten die unterirdischen Quellen und versenkten ihre Reichtümer im daraus entstehenden See. Nach geologischer Sicht ist der Ursprung des Sees auf die Entstehung eines Staudamms durch einen Muranenabgang zurückzuführen.
Ruderbote gleiten über das Wasser. An den Fenstern des Holzhauses auf der Brücke drücken sich zwei Touristen aus Vicenza die Nasen platt. Es ist die Hütte des Försters Pietro alias Terence Hill. „Vedi qualcosa?“ (Siehst du was?) fragen die hinter ihnen stehenden. In der Hütte ist es dunkel, sie sehen nichts. Terence Hill dreht heute nicht.
INFO
Anreise nach Innichen
Mit dem Auto: Brennerautobahn (A22) bis zur Ausfahrt Brixen/Pustertal. Von dort aus sind es ca. 60 Kilometer bis nach Innichen.
Mit dem Zug: Ab München bis Franzenfeste (Fortezza) und von dort aus mit dem Regionalexpress weiter nach Innichen (San Candido). Dauer ab München 4 Stunden 32 Minuten.
Unterkunft: Villa Stefania, An der Botenbrücke 1, Innichen.
Tipps: Das Museum Dolomythos in der Fußgängerzone von Innichen entführt Besucher in einer Zeitreise in die Welt der Dolomiten mit ihren Schätzen, Sagen und Legenden.
Wanderrouten: Brigitte Eder beschreibt in ihrem kleinen handlichen Buch „Wander- und Hüttenurlaub – Trekking für alle“ Wanderrouten für die ganze Familie auf dem Helm (Kapitel 23 – Der Karnische Höhenweg).
Die Autorin nahm an der Pressereise “Pasta on the Rocks” auf Einladung von Markus Holzer teil.
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