Provenzalisches Lebensgefühl

Wäre er 1951 nicht saarländischer Landesmeister im Seifenkistenrennen geworden, hätte ihn seine Liebe zu Frankreich wohl nicht so geprägt. Der Preis war nämlich ein 5-wöchiger Aufenthalt in der Provence. Obwohl erst sieben Jahre alt, beschloss Wolfgang Roeder damals, eines Tages hier zu leben. Es sollten allerdings noch einige Jahre ins Land gehen, bis es endlich soweit war. Zunächst betrieb er mit einer Partnerin ein renommiertes Hotel in Saarlouis, wohnte aber mit seiner ersten Frau, einer Französin, auf einem alten Bauernhof und später in einer alten Mühle in Lothringen.

1988 zogen die beiden mit ihren Töchtern in die Provence und übernahmen die Leitung eines Hotels. „Dass wir 1994 schließlich die Domaine de Paraillon fanden, war eher ein Zufall“, erzählt Wolfgang Roeder. „Das sechs Hektar große Anwesen war die Wochenendresidenz eines Bauunternehmers. Ich habe an- und ausgebaut, und die Domaine Ostern 1995 als provenzialisches Gästehaus eröffnet“. Die ersten Gäste kamen aus Köln. Noch heute sind es überwiegend Deutsche, darunter sehr viele Saarländer und Stammgäste, auch aus Luxemburg und der Schweiz, die ihren Urlaub auf dem Anwesen verbringen. „Es ist die entspannte, zwanglose Atmosphäre, die uns so gut gefällt. Wir haben hier ein kleines Paradies gefunden, das den typischen Stil und das Lebensgefühl der Provence verkörpert“, sagen Petra und Ralf aus Saarbrücken, die seit fünf Jahren immer wieder anreisen. Wolfgang Roeder, seine Frau Latifa und der 12-jährige Sohn Sami wohnen in dem hübschen zweigeschossigen Landhaus nahe am hellblauen Eingangstor.

Die geschmackvoll in den Farben der Provence eingerichteten Zimmer mit hübsch gekachelten Bädern befinden sich in kleinen Häuschen auf dem Anwesen. Jedes mit eigener Naturterrasse und je nach Lage mit Blick auf den Pool oder auf die herrliche Natur aus Weinreben, Olivenbäumen, Oleander, Zypressen, Zedern und Eichen ringsum. Die Oliven werden im Nachbarort zu Olivenöl für den Eigenbedarf verarbeitet. Die Olivenernte übernehmen Freunde aus dem Saarland.

 

Paraillon

Meine Unterkunft heißt Clairette und steht etwas abseits, umgeben von Weinstöcken und Olivenhainen. Als ich die Tür öffne, hole ich die Natur quasi ins Zimmer. Ich mache es mir auf einem Liegestuhl auf der Terrasse bequem, die ich bei dieser einzigartigen Kulisse am liebsten gar nicht mehr verlassen möchte. Das einzige Geräusch das ich höre, ist das Zirpen von Zikaden. Roséfarbene Trauben hängen üppig an den Reben. Sie sind viel zu verführerisch, um sie nicht zu probieren. Da sie nicht für die Weinproduktion verwendet werden, dürfen sich Gäste an den süß schmeckenden Trauben bedienen.

Trauben

Privatsphäre ist garantiert, denn das Anwesen ist komplett umzäunt. Als ich zu einer Erkundungstour auf dem Gelände aufbreche, begegnet mir unterwegs keine Menschenseele, Kunstwerken dafür umso mehr. Viele Künstler, die hier zu Gast waren, haben ihre Werke hinterlassen.

Auch sonst sind Kunstwerke allgegenwärtig – im Kamin- und Speisezimmer hängen Gemälde der saarländischen Künstler Otto Lackenmacher, August Clüsserath, Leo Grewening und Axel C. Gross.

Abends wird es gesellig, denn Höhepunkt ist das Abendessen, das alle Gäste gemeinsam an einem langen Tisch einnehmen. Je nach Windlage drinnen oder draußen. Es beginnt um 19.45 Uhr mit einem Aperitif. Die Gäste stammen heute Abend alle aus dem Saarland. Ich bin der Neuankömmling, und als Baden-Württembergerin fühle ich mich zunächst etwas als Outsider, was aber unbegründet ist, denn ich werde sofort in die fröhlich lachende Runde aufgenommen.

„Die Saarländer sind ein Völkchen mit einem ausgesprochenen Sinn für Geselligkeit und Humor“, habe ich irgendwo mal gelesen und kann es beim Abendessen nur bestätigen. Das fünfgängige Menü wird begleitet von leckerem Wein – schließlich befindet sich die Domaine an der provenzialischen Weinstraße, mitten im Côte de Provence Anbaugebiet. Küchenchefin ist Wolfgang Roeders zweite Ehefrau, die sehr sympathische Latifa, die schon ab 17 Uhr in der Küche steht und köstliche Kreationen aus der mediterranen Küche zubereitet. Wir sitzen bis fast um Mitternacht beim Wein. Es gibt viel zu erzählen und zu lachen. Wolfgang Roeder ist zufrieden, dass sich seine Gäste so gut unterhalten. „Hier ist alles sehr familiär“, sagt er. „In einem Hotel ist das anders, viel anonymer. Dort checken die Gäste ein und aus, essen im Restaurant und brauchen nicht die Bekanntschaft mit dem Patron zu machen. Hier bin ich die Identifikationsfigur. Wenn ich abends mal sage, ich esse oder trinke nicht mit, werde ich gleich gefragt, ob ich krank bin. Da es so intim ist, sind die Gäste auch neugierig und fragen, was wir denn im Winter so machen“. Von November bis Ende März ist die Domaine de Paraillon geschlossen. „In den Herbstferien verreisen wir mit unserem Sohn, denn im Sommer hat er nur wenig von uns. Ende der Saison wird alles winterfest gemacht. Es gibt Reparaturen, tausende Millionen Blätter müssen jede Woche weggeräumt werden, und ab März beginnen wir wieder mir den Vorbereitungen. Da wird repariert, an- und umgebaut“, erzählt Wolfgang Roeder, der vor allem wegen des milden Klimas hier lebt. „Und natürlich spielen die Landschaft, das Licht und die Ruhe, die wir hier haben, eine große Rolle. Im Sommer merkt man den Tourismus nicht. In Carcès trifft man zwar auf ein paar Touristen in den Straßen und im Supermarkt, aber Massentourismus gibt es nicht.“

Wolfgang, Latifa und Sami Roeder (Copyright: das Foto wurde mir von Wolfgang Roeder zur Verfügung gestellt)

Manchmal mieten deutsche und französische Politiker die gesamte Domaine, denn das Hideaway bietet ihnen Schutz vor Paparazzi. Die harrten jahrelang im 10 Kilometer Luftlinie entfernten Weingut Chateau Miraval aus, dem Domizil von Angelina Jolie und Brad Pitt, die sich seit ihrer Trennung im letzten Jahr aber nicht mehr in dem Traumschloss blicken lassen. Dafür steht bei uns eine Flasche leckerer Rosé aus dem Chateau Miraval auf dem Tisch.

Je einmal im Herbst und im Frühjahr fahren die Roeders nach Deutschland. „Die Domaine de Paraillon ist mein Zuhause, das Saarland ist meine Heimat“, betont Wolfgang Roeder. Es gibt allerdings auch Dinge, die er aus seiner Heimat vermisst, wie saarländisches Bier und eine gute Lyoner. „Früher habe ich im Saarland gar nicht so viele Sachen gegessen, aber hier fehlen mir manchmal die saarländischen Spezialitäten. Was ich noch vermisse ist, abends mal in eine Kneipe zu gehen, wie das im Saarland so üblich ist. Mal einen Salat essen und Bekannte treffen. Das gibt es hier nicht. Die Franzosen gehen abends nicht mehr aus. Wenn sie von der Arbeit kommen, trinken sie ihren Aperitif, dann gehen sie nach Hause. Alle Kneipen sind um 20 Uhr zu, im Sommer haben einige bis um 22 Uhr geöffnet, aber das sind die Ausnahmen. Anders ist es natürlich in Großstädten wie Marseille, Nizza und Cannes“.

Gegen Mitternacht ziehe ich mich in meine „Clairette“ zurück. Die Gutenachtruhe ist gewährleistet dank bequemem Bett, einem dunklen Umfeld und der absoluten Stille, die mich innerhalb von wenigen Minuten in einen paradiesischen Schlaf wiegt.

INFO

Preis: Übernachtung mit Halbpension 175 Euro für zwei Personen, Wohneinheiten mit einem oder zwei Zimmern, Allround-Service.

Allgemeine Informationen: http://www.paraillon.net

Anreise: Mit dem Auto Saarbrücken-Carcès knapp 900 km.

Flug ab Frankfurt bis Nizza oder Marseille, dann Mietwagen. Carcès liegt 91 km von Nizza und 68 km von Marseille entfernt.

Markttag im nahen Carcès.

Dieser Beitrag ist am 13.10.2017 im Forum-Magazin erschienen.

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